Zuerst einmal sollte man sich eines bewusst machen: Die Stimmung an den Finanzmärkten ist katastrophal, vielleicht war sie im Vergleich zur Kursentwicklung nie schlechter. J.P. Morgan publizierte kürzlich Daten, für wie wahrscheinlich CEOs eine baldige Rezession halten. Die Antwort: deutlich über 40 % Wahrscheinlichkeit und damit die höchste Quote aller Zeiten. In den 70er und 80er Jahren gab es Erwartungen von gut 30 %, seitdem wurden selbst die Wahrscheinlichkeit einer Rezession von 20 % nur selten übertroffen. Laut Bloomberg erwarten Wallstreet-Analysten im Konsens zum ersten Mal in mehr als 20 Jahren fallende Kurse im nächsten Jahr. Der AAII-Sentiment Indikator der American Association of Individual Investors war noch nie einen derart langen Zeitraum so negativ, wie in diesem Jahr. Auch der
Leeway Stimmungsindikator, der verschiedene Stimmungsindikatoren, Umfragen und Daten aus dem Optionshandel aggregiert, hat den Großteil des Jahres auf einem Panik-Niveau zugebracht, wie er zu Hochzeiten des Corona-Crashes erreicht wurde.
Der Doppelschlag aus plötzlich unkontrolliert steigender Inflation, die so lange vergeblich erwartet wurde, dass sie aus vielen Köpfen verbannt wurde, und einem höchst kriegerischen Russland, dessen Verhalten Reminiszenzen an den kalten Krieg weckten und selbst das Thema "atomarer Krieg" wieder auf den Tisch brachte, hat alle Marktteilnehmer zutiefst verunsichert. Dabei war die Gesellschaft und die Gedanken der Marktteilnehmer noch von der Jahrhundertpandemie Corona erschüttert. Kein Wunder also, dass die Marktteilnehmer historisch negativ gestimmt sind. Was kann bzw. was muss nun passieren, um einen Crash oder einen fortschreitenden Bärenmarkt auszulösen?
Die Stimmung funktioniert als Gegenindikator, d.h. je schlechter die Stimmungslage, desto wahrscheinlicher und heftiger sind Aufwärtsbewegungen. Schließlich bedeutet schlechte Stimmung mehr potentielle Käufer, wenn die Stimmung sich bessert. Für das Szenario eines andauernden Bärenmarktes ist also zuallererst die Abwesenheit von guten Nachrichten nötig, insbesondere was Inflation und wirtschaftliche Aussichten angeht. Wir haben es an den euphorischen Reaktionen auf die Inflationsdaten gesehen, die ich auch im Monatsbericht der Aktie der Woche eingehend besprochen habe. Sollte sich herauskristallisieren, dass die Rezession doch nicht eintritt oder nur kurz und schwach wird, dürfte das Abwärtsgeschehen auch ein jähes Ende finden. Rezessionen gehen übrigens bei weitem nicht immer mit fallenden Aktienkursen einher. Sollte die Inflation andererseits doch wieder ansteigen und eine schwere Rezession durch die Märkte laufen, dann kann sich dieser schwache Markt auch noch ein weiteres Jahr hinziehen.
Bereit für bessere Investment-Entscheidungen?
Starten Sie noch heute mit Ihrer kostenlosen Testphase - Aktienanalyse mit künstlicher Intelligenz.
Volle Transparenz | Voller Zugriff | Jederzeit kündbar
Für einen Crash sind dagegen eher überraschende, schlechte Nachrichten nötig. Die Stimmung ist schlecht und die sind Käufer noch rar gesät. Eine böse Überraschung kann leicht zu einem sehr unangenehmen tiefen Kursrutsch führen, weil die hastigen Verkäufer nur auf wenige bereitwillige Käufer stoßen und die Mehrheit abwartet, bis sich die Märkte beruhigt haben. Einen solchen Fall haben wir während Corona im Frühjahr 2020 erlebt. Ein plötzlicher Anstieg der Inflation und eine entsprechend extreme Erhöhung der Leitzinsen durch die Notenbanken, könnte eine derartige Wirkung haben. Auch eine drastische Verschärfung der Themen Russland und Corona sind natürlich Kandidaten. Ernsthafte Angst vor dem Einsatz von Atomwaffen bzw. eine hochansteckende Corona-Variante mit einer zwei- bis dreifach höheren Sterblichkeitsrate als die Delta-Variante sind Entwicklungen, die die Marktteilnehmer noch einmal derart in Panik versetzen dürften. Letztlich bleibt die Amerika-China-Beziehung eine große Unbekannte. Eine drastische Verschärfung in diesem Konflikt würde weiteres unkalkulierbares Gefahrenpotential eröffnen und noch einmal eine Welle der Unsicherheit durch die Märkte schicken. Kurz gesagt, sollten die absoluten Worst-Case-Szenarien eintreten, ist das Potential für einen echten Crash gegeben.
Haben wir auf der anderen Seite die hässlichsten Überraschungen vorerst durchlebt und die Lage verbleibt ungefähr auf dem Status quo oder wird sogar positiver, dürften die Märkte den Blick aufwärts richten. Kurzfristig deutet dank Inflationsdaten und US-Notenbank ohnehin vieles auf steigende Kurse, insbesondere auf amerikanischer Seite. Langfristig lohnt es sich an diesem Punkt einmal die vollständige Historie der modernen Börsenkurse anzuschauen und den Kursverlauf der letzten 100 Jahre zu betrachten. Der Dow-Jones Zyklus verspricht bei einer 3. Wiederholung gewaltige Gewinne.
Ob man den Dow Jones betrachtet oder den S&P 500: in beiden Fällen sind drei Seitwärtszyklen auffällig. Die Zeit der späten 20er Jahren, den Roaring Twenties bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, die 70er Jahre und die letzte große Schwächeperiode von 2000 bis in die frühen 2010er Jahre. Ab 1945 und 1980 folgten jeweils jahrzehntelange Rallies, in deren Prozess die Kurse von den Tiefs um das mehr als 20-fache stiegen. Derzeit sehen wir Gewinn von "nur" rund 400 % seit dem Tiefstpunkt während der Bankenkrise 2008/09. Eine Wiederholung der beiden vorherigen Zyklen würde ein Anstieg der Aktienmärkte bedeuten, der erst in den 2040er Jahren endet und S&P 500 sowie Dow Jones bis zu Höchstständen oberhalb der 16.000 bzw. 160.000er Marken trägt. Es hat mit Sicherheit schon schlechtere Zeitpunkte gegeben, um Aktien zu kaufen.