Ein neues Jahr ist angebrochen, ein Jahrzehnt zu Ende und die Situation ist wie gewohnt ungewöhnlich. Die Welt steckt mitten in einer Jahrhundert-Epidemie. Einzigartige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung werden ergriffen und haben ungeahnte Einschnitte in das öffentliche und insbesondere auch wirtschaftliche Leben zur Folge. Die Staatsverschuldung häuft sich weiter an, der (ehemalige) amerikanische Präsident muss sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor Gericht hinsichtlich des Aufrufs zur gewaltvollen Machtübernahme verantworten. Man mag es den dilettantischsten Putschversuch der jüngeren Geschichte nennen oder auch einfach den verwundert den Kopf schütteln. Ungewöhnlich sind diese Zustände allemal.
Trotz allem steigen die Börsen seit letztem Frühjahr unentwegt. Amerikanische Indizes schwingen sich von einem neuen Hoch zum nächsten, der DAX zum Jahresstart seine frühere Höchstmarke gebrochen und auch der Stoxx 600 nähert sich stetig neuen Höhen. Wie passt das zusammen? Hat sich der Markt vollends von der Realität entfernt? Vergessen wir einmal was wir wissen oder denken und blicken neutral auf die Daten und Charts.
Beginnen wir mit einem kurzen Blick auf den weltweiten Aktienmarkt in Form des iShares All Country World Index ETF bereinigt um den Dollarpreis:
Wir sehen einen weltweiten Aktienmarkt, der sich seit der Finanzkrise in einem relativ stetigen Aufwärtstrend befindet. Zurzeit steht der Kurs eher am oberen Ende seines üblichen Bereichs. An sich schiebt er sich aber schlicht um gut 8 % im Jahr nach oben und lässt sich weder von Handelskriegen noch Pandemien nachhaltig aus der Ruhe bringen.
Für die langfristige Perspektive betrachten wir nun den amerikanischen Aktienmarkt anhand des S&P 500.
Eindeutig ein Markt in der Blase und völlig überzogenen Bewertungen? Dieser Chart täuscht, denn in einer derart langen Historie ist der Zinsenszins-Effekt extrem stark und die späteren Gewinne sehen deutlich höher aus, als sie es tatsächlich sind. In der logarithmischen Darstellung, die die kumulativen Effekte von aufeinander aufbauenden Gewinnen rausnehmen, präsentiert sich ein deutlich anderes Bild.
Im Bullenmarkt von 1970 bis 2000 stieg der S&P in der Spitze um über 2000 % und damit 13 % im Jahr über 25 Jahre. Seitdem dem Tiefpunkt 2009 beträgt der Anstieg dagegen "nur" rund 450 % und ohne den Zinseszins-Effekt sehen wir auch hier einen recht normalen, linearen Anstieg in den letzten 50 Jahren. Eine Wiederholung des letzten Bullenmarktes würde also problemlos Potential für weitere 300 % bis 400 % liefern und das "Top" wäre dann erst 2033 bei einem Stand von 15000 Punkten bzw. 50000 Punkten im DAX erreicht.
Der Trendkanal des S&P gliedert sich in drei Teile. Im oberen Teil fand der Bullenmarkt vor den 2000er Jahren statt. Durch den mittleren Teil sackte er im Zuge der Zwischenrally bis in die Finanzkrise. Seitdem bewegte er sich am unteren Rand.
Im Frühjahr vergangenen Jahres sah alles danach aus, als würde der Kanal nach unten brechen, doch es kam anders. Nach der extrem starken Erholung befinden wir uns nun genau an der Wegscheide zwischen unterem und mittleren Kanal. Schafft der Markt nun den Bruch nach oben und etabliert sich oberhalb der Scheidewand, würde das die Beschleunigung auch technisch bestätigen und weitere starke Jahre erwarten lassen.
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Aber ist eine solche nachhaltige Entwicklung überhaupt möglich? Welche Aktien sollen sie tragen? Ein großes Problem der Marktinterna in den letzten Jahren war "Breadth", also die Breite bzw. die Menge der Aktien, die für Kursgewinne sorgten. Die meisten ruhten auf den Schultern der Schwergewichte: Facebook, Amazon, Apple, Google, Microsoft und einige weitere. Betrachten wir die Breite, indem wir den Prozentsatz der Aktien betrachten, die sich über dem 50, 100 und 200 Tage Durchschnitt befinden:
Der Abwärtstrend seit 2009 in der Breite der Aktien, die an Anstiegen teilhaben, ist deutlich erkennbar und war eine große Sorge. Im November letzten Jahres wurde dieser zehnjährige Trend aber gebrochen und die Trendlinie wurde sowohl im Dezember als auch im Januar erfolgreich getestet. Ein Zeichen für einen Paradigmenwechsel "nach oben", zu einem Markt der von einer breiteren Masse an Aktien in Aufwärtsbewegungen getragen wird.
Wie kann diese Entwicklung zustande kommen, während die Wirtschaft unter Beschränkungen und Auftragseinbußen leidet? Unternehmenswerte und damit Aktienkurse werden auch bzw. insbesondere von der verfügbaren Geldmenge bestimmt und die Notenbanken haben nie dagewesene Mengen Geld in Umlauf gebracht, um die Effekte von Corona abzufedern. Letztlich wird Geld dadurch einfach wertloser und Unternehmen sind mehr Geld wert. Bereinigen wir Messdaten der (amerikanischen) Wirtschaft (Autoverkäufe, Unternehmensgewinne, Neuaufträge und die industrielle Produktion) um die im Umlauf befindliche Geldmenge und vergleichen sie mit dem S&P (türkise Linie):
Die Erweiterung der monetären Hilfen hat die wirtschaftlichen Einbußen durch Corona im Verhältnis mehr als Wett gemacht und der Aktienmarkt läuft der Erholung zwar etwas voraus, bewegt sich aber letzten Endes mit der wirtschaftlichen und monetären Entwicklung.
Natürlich ist die Entwicklung der immer steigenden Staatsverschuldung bedenklich und vermutlich nicht nachhaltig. Natürlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass es langfristige Folgen der Coronakrise gibt und die wirtschaftliche Entwicklung darunter leidet. Niemand weiß, ob weiteres großes Unglück vor der Tür steht. Fest steht: Vieles im Marktverhalten deutet auf einen Paradigmenwechsel hin und die Anzeichen überwiegen, dass dieser Wechsel zu einer weiteren Beschleunigung aufwärts führt und die unverständliche Stärke des Marktes eher aus einer zugrunde liegenden Stärke geboren wurde, die kurz aussetzte in der Corona-Panik. Unser Markttiming warnte im Zuge des Ausbruchs in "Breadth" Ende des Jahres vor überhitzten Märkten. Diese Überhitzung hat sich nun abgebaut. Letzte Woche gab es das erste langfristige Kaufsignal seit Monaten und nach zwei kurzfristigen Warnsignalen für Donnerstag und Freitag deutet die Nadel für Montag wieder auf eine gute Kaufgelegenheit.
Zu guter Letzt ist Atoss nach der Empfehlung im Dezember gut gelaufen und bietet Gelegenheit Gewinne mitzunehmen.
Lars Wißler besitzt Aktien der ATOSS Software AG. PWP Leeway besitzt keine der erwähnten Aktien.